Bewegungstraining ist kein Aspirin für Notfälle, sondern sollte als regelmäßige und wohltuende Praxis in den Alltag integriert werden.
Oft stolpere ich bei meinen Recherchen im Netz über das Versprechen, dass eine einzige Übung gegen bestimmte Symptome oder Schmerzen wirkt. So sollen zum Beispiel Schulter-, Rücken oder Hüftbeschwerden mit wenig Aufwand, in kürzester Zeit verschwinden.
Als ehemalige Profitänzerin weiß ich, wie aufreibend und nervenraubend Verletzungen, Verschleißerscheinungen oder schmerzhafte Blockaden sein können. Es ist naheliegend, dass man in herausfordernden Situationen für schnelle Lösungen anfällig ist, die unmittelbare Entlastung in Aussicht stellen.
Geduld während der Regeneration und Bewegungsroutine zur Vorbeugung
Meine jahrelange Erfahrung mit Bewegungstraining hat mir immer wieder gezeigt, dass der Körper lernen muss sich selbst zu helfen, indem er gesunde Bewegungsmuster trainiert, die ihn stabilisieren, öffnen und widerstandsfähig machen. Körperliche Aktivität sollte also möglichst in Form einer regelmäßigen Praxis in den Alltag integriert und den individuellen physischen Voraussetzungen oder bereits vorhandenen Einschränkungen angepasst werden.
Um Muskulatur und Bindegewebe gezielt und gelenkschonend zu trainieren, braucht es zudem eine gründliche Aufwärmphase. Spezifische Übungen zur Prävention und Schmerzlinderung sind ohne Vorbereitung des Körpers wenig effektiv und erreichen die empfindlichen Regionen gar nicht in der Tiefe. Auch ist die Kraft der Wiederholung hier nicht zu unterschätzen, die ebenfalls etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt, als nur ein ‚Quick fix‘.
Faszientraining und ganzheitlicher Übungsfokus
Den Trainingsfokus ausschließlich auf eine bestimmte Körperpartie zu legen ist vor dem Hintergrund der aktuellen Faszienforschung sehr einseitig und schlichtweg nicht zeitgemäß. Mit eindimensionalen Übungen wird das Zusammenspiel der verschiedenen Körpersysteme sowie die Verbindung des Skeletts und der Tiefenmuskulatur über komplexe Faszienschläuche komplett übergangen.
Darüber hinaus ist auch ein Ausgleich der Bewegungsrichtungen im Körper empfehlenswert, denn das Üben von neutralisierenden Abläufen und Gegenbewegungen erleichtert das Vergrößern der gesamten Bewegungsspanne in den Gelenken.
Ein Beispiel dafür stammt aus meiner Unterrichtspraxis als Yogalehrerin:
Wenn ich mich in meinen Kursen nach persönlichen Wünschen erkundige, fällt sehr oft das Schlagwort ‚Hüftöffnung‘. Gemeint ist damit so gut wie immer die Außenrotation im Hüftgelenk, um z.B. besser mit gekreuzten Beinen sitzen zu können oder anspruchsvolle Yogahaltungen auszuführen. In diesem Fall beginne ich die Klasse gerne mit einem Sitz in Innenrotation sowie mit Beuge- und Streckbewegungen des Oberschenkels im Hüftgelenk und Abspreizen und Heranführen der Beine zum Körper. Da es sich hier um ein Kugelgelenk handelt, ist es eben sinnvoll, alle Bewegungsmöglichkeiten auszuschöpfen die gegeben sind und sie im Training auszubalancieren. In derselben Übungseinheit können außerdem gleich noch der untere Rücken mobilisiert, die Rückseiten der Beine gedehnt und die tiefe Bauchmuskulatur aktiviert werden und schon ist es eine runde und ausgeglichene Praxis.
Kultivieren einer vielseitigen Übungspraxis
Warum ist es für viele von uns so schwer eine Trainingsroutine zu entwickeln und dranzubleiben?
Oft stehen uns zu hohe Ziele und Erwartungen im Weg, die die Motivation sehr schnell sinken lassen. Wenn wir uns aber von der Vorstellung verabschieden, dass mit Bewegungstraining kurzfristige Effekte erzielt werden müssen, lernen wir die Praxis selbst wertzuschätzen. Dabei reichen 10-15 Minuten am Tag völlig aus und selbst, wenn nicht jeden Tag trainiert wird, etablieren wir eine gesunde Routine, die wir langfristig gar nicht mehr missen möchten. Die besten Voraussetzungen dafür sind Freude beim Trainieren, abwechslungsreiche und zugängliche Übungsmethoden, die Möglichkeit soziale Kontakte zu knüpfen beziehungsweise Raum für Rückzug im eigenen Zuhause.
Ganz ohne Investition von Zeit, Geld und Energie geht es nicht, denn Bewegungstraining ist kein Aspirin für Notfälle und auch kein bezuschusster Präventionskurs, der auf zehn Termine im Jahr beschränkt ist. Aber, der immer noch niedrigschwellige Aufwand lohnt sich, denn so simpel es auch klingen mag, ich bin überzeugt davon, dass Menschen, die sich regelmäßig bewegen und trainieren, gesünder, widerstandsfähiger und glücklicher sind.